DIE JÄGERIN Teil 4

 

Der Geist der Schlange

Für die Nomadin war es eine weitere Nacht der Frauen gewesen. Ihnen war alles erlaubt in solchen Nächten.  

Die Seenomaden hatten niemals die Idee, sich einen Gott zu schaffen, der ihnen die Freude an allen nur erdenklichen körperlichen Spielen verbot. Und um die Freude daran noch zu steigern, - so hatten deren Ahnen schon längst gewusst -, sollte dies nur in bestimmten Nächten und an einsam schönen Orten geschehen.
Die Seenomaden allesamt genossen die Vorfreude auf solche Nächte und sie bereiteten sich in freudiger Erwartung und mit Sorgfalt darauf vor.
Und doch war die letzte Nacht besonders für die Nomadin. 
„Wie andersartig Wanderer-in-den-Bergen doch sind?“ wunderte sie sich die Nomadin über Jea. 
Wie sehr die unbekannte Gespielin doch vorwärts stürmte im Erfassen aller Sinne. Die ihrer eigenen und die der Anderen.
Nur das bloße Erfassen, nicht das Verweilen, nicht das stufenweise Ausreizen eines bestimmten Punktes am Körper schien sie zu mögen. Erst als sie nur mehr die Berührungen an Jeas Körper ausführte, erst als sie wie ein Spiegelbild der anderen agierte, gab sich die aus den Bergen  vollends hin. Sosehr , dass es manchmal sogar der wahrlich nicht zimperlichen Seenomaden-Frau an Wildheit, Kraft und Ungestüm zu viel wurde. 
Diese nackte Tänzerin am Feuer, dieser Waldgeist, der so unverhofft und wild den Adlertanz tanzte. Angelockt vom Klang der Trommel ihres Mannes, ihres Helden, dem besten Trommler In freudiger Erinnerung an ihn lächelte sie.
Doch sie besann sich und bereitete mit Bedacht die kleine Opfergabe an den Geist des Ortes vor und ihm zum Dank darzubringen.
Dann stieg das Wasser.
Die Flut nahm das Boot,
Und mit ihm die Seenomaden.
Jea lag da, als schliefe sie. Aber sie, kostete die Nähe der Vertrauten und doch so Fremden aus und lauschte dem Erwachen des Waldes. Wenn die ersten Vögel, leise noch, ihre ersten Töne von sich gaben, so als fragten sie um Erlaubnis, sein zu dürfen. Ein Tier nach dem anderen begann, sein Wesen auszuleben, jedes seiner Art entsprechend.
Für Jea war die letzte Nacht nur eine von vielen Nächten, in denen sie aktiv gewesen war. Als Jägerin kannte sie die Routinen der Tiere, wann und wo sie auftauchten, und das machte sie angreifbar. Jea wusste das und vermied deshalb Routinen. 
Ihr wäre nie in den Sinn gekommen, dass es möglich war, sich zweimal in dasselbe Wasser eines Flusses zu stürzen. Darauf verschwendete sie keine Kraft.
Und doch war diese Nacht anders gewesen als die anderen. Für Jea war es das Geschehen am Feuer, das sie bedachte. 
Jea hatte eingestimmt in den Chor der Tiere. Laut gab sie mit allen Tönen, die ihre Stimme hergab, ihr Wohlbefinden kund. Nichts, dass sie nicht zum ersten Mal tat und sich manchmal fortsetzte in einem befriedigendem Schlaf.
Noch immer dachte Jea über jenen Moment nach, als die Frau, die neben ihr lag, wie ein Geist aus dem Feuer kam. War sie ein Geist? Oder war sie jene Unschuldige, nach der ihre Ahnen riefen. Wenn dem so war, dann musste sie die Frau töten. 
Aber da war kein Zeichen.
Jea konnte sich nur auf Zeichen verlassen, sonst hätte sie keinen in ihrem Verständnis „Schuldigen“ gefunden. Nicht einmal unter Menschen. Wie hätte sie da erst einen einzelnen Unschuldigen finden können?



Und während die Jägerin zufrieden, aber in hellwachem Zustand auf Zeichen lauschte, die ihr sagten, dass die Frau neben ihr dieser Bote ist, der freiwillig zu den Ahnen geht. In der Zeit des Wolfes, wenn die Nacht am dunkelsten ist, kurz vor dem Morgengrauen, stand die Frau auf und huschte hinein in die Dunkelheit.
Jea fand drei getrocknete Fische, die an einem für Jea nützlichem Stück Schnur hingen. Im Schatten neben dem Baum lagen ein paar bunte Tücher. Sie waren mit Sorgfalt hingelegt.
Vom nächtlichen Feuer aber blieben keine Spuren. Das Wasser des Sees hatte sie hinweggespült, als hätte hier nie ein wilder Tanz um ein Feuer stattgefunden. Nichts außer den Gaben erinnerte daran.
Die Jägerin legte die Tücher an, band diese an ihrem Körper mit der Schnur fest und machte sich wieder auf ihren Weg. Im Magen die Fische und den Kopf voll Fragen. Dies war neu für sie. Vor der Begegnung mit den hatte sie kaum an Vergangenes gedacht.  
Grübelnd bis zur Frage, wie sie einen Boten finden könnte, suchte sie ihren Weg hinein in den Wald. Sie achtete wenig auf die Spuren am Boden. Sie nützte auch nicht die seltenen Gelegenheiten, wenn das dichte Blätterdach einen freien Blick zum Himmel erlaubte. Manchmal strauchelte die Jägerin sogar übers Unterholz, das sie übersah, sosehr war Jea mit Fragen ihrer Zukunft beschäftigt: Welche Nachricht sie denn dem Boten mitgeben sollte?
Und immer wieder die drängenste Frage, wie sie denn einen Freiwilligen finden könnte. Und je mehr sie sich darüber Gedanken machte, desto mehr gelangte sie tiefer hinein in den immer dichter werdenden Wald. Für dessen vor kraftstrotzender Vitalität sie kaum einen Blick übrig hatte. Sie fand bald keinen Weg durch den Wald und auch keine Lösung.


Bis Jea Gefahr spürte. Kaum zwei Schritte vor ihr lag eine Schlange, ihre emotionslosen Augen fixiert auf Jea. 
Jea verharrte still und bewegungslos. Nur der Schlange galt schlagartig ihre ganze Aufmerksamkeit.  
Licht und Schatten tauschten ihre Plätze, wie das Leben auf Erden. Viel Zeit verstrich, als Jea begann, wieder die Natur um sie herum zu erfassen. Die Eidechse auf einem Baumstamm, eine Ranke, die ihre erste Windung um diesen Baum schloss und die ihn irgendwann erwürgte und zu Fall bringen wird. Eine einsame weiße Blüte im Schatten und all die Geräusche des Waldes. Nach und nach wurde Jea wieder eins mit der Natur, folgte wieder ihren Gesetzen, ihrem Rhythmus. Die Jägerin verschmolz wieder  mit ihrer Welt,.
Nur dem Blick der Schlange entging sie nicht. Ihr starrer Blick hatte die Jägerin von einer menschlichen Neigung befreit.
Wie ein Sog zog der Blick Jea hin zum Verstehen, wortlos und simpel: "Bloße Achtsamkeit ohne Gedanken genügt, um den weiteren Weg zu sehen".
Mit einer letzten trägen Bewegung schälte sich die Schlange aus dem letzten Rest ihrer alten Haut, richtete ihren Kopf auf Jea.
Es war, als stellte die Schlange eine Frage an Jea:
„Verstehst du?“
Jea schluckte und nickte.
Die Schlange senkte ihren Kopf, glitt ins Unterholz und verschwand. 
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