Gott war ein Vulkan
„Der Rauch stieg vom Berg auf wie Rauch aus
einem Schmelzofen. Der ganze Berg bebte gewaltig.“
(Exodus
19)
Als Throne der Götter wurden Vulkane angesehen und die Götter, die darauf saßen sind bekannt als launisch, jähzornig und leicht reizbar. Ganz die Eigenschaften, die der liebe Gott
der Christen auch hat. Sosehr sich die Interpreten der Bibel auch bemühen, diesen Charakter zu veredeln, er bleibt unberechenbar und zeigt sich besonders im Alten Testament als ziemlich
misslaunig. Wo der liebe Gott erscheint, wird’s brenzlig, sowie beim
Feuerzauber am Berg Sinai
„Denn der Herr war im Feuer auf ihn herabgestiegen. Der Rauch stieg vom Berg auf wie Rauch aus einem Schmelzofen. Der ganze Berg bebte gewaltig“ (Exodus 19)." Jahwe lasse die Erde beben und hohe Gipfel wie Wachs schmelzen", heißt es in Psalm 97. ER versteht die große Show denn mal kommt er als „flammende“ Säule daher, mal als „Verzehrendes Feuer“.
Forscher wie der britische Physiker Colin Humphreys plädieren dafür, solche Beschreibungen wörtlich zu nehmen, angesichts der
Vielzahl feuerspuckender Sprachbilder.
Gott war ein Vulkan
Vulkan Hala al-Badr |
Hala al-Badr |
Der imposanteste Krater, der 170 Meter hohe Vulkankegel Hala al-Badr, klafft auf einem 1600 Meter hohen Tafelberg in Saudi-Arabien. Er ist der Vulkan, der Jerusalem am nächsten liegt und Ausgangspunkt einer Kraft wurde: die Vorstellung eines einzigen Gottes:
der Monotheismus war geboren ... wiedereinmal.
Das Völkchen, das in diesem Ödland lebte, war froh über jede Karawane, die sie überfallen konnten. Ihre Feinde waren die Thamuds, über die schon die frühen Nabatäer nur mehr flüsterten...
Weiterführendes ...
„Bei den Ägyptern hießen die Hirten „Sandwanderer“ und waren als Räuber und Wegelagerer verschrien:Der schmale Pfad ist gefährlich, weil Schasu sich hinter den Büschen Verstecken“, heißt es in einem Papyrus, „sie haben grimmige Gesichter, sie sind feindlich.“
Vieles spricht dafür, dass es die bärtigen Nomaden aus Nordarabien waren, die gleichsam die Urform Gottes anbeteten.
Die Schasu
Ob Moses selbst ein Schasu war, weiß dennoch niemand zu sagen. Es ist nicht mal klar, ob der biblische Prophet überhaupt jemals lebte. Klar ist nur, dass die Bibel eine tiefe Erinnerung speichert: Und diese verbindet die Wurzeln der Israeliten mit einem Hirtenvolk, das nahe dem Roten Meer wohnte. Vereinfacht könnte man die neue Gottesformel deshalb so ausdrücken:
Am Anfang war das Feuer
Die Bibel erwähnt, dass Moses bei seiner ersten Begegnung mit dem Schöpfer in „Midian“ weilte. phreys, stamme Jahwe. In der Ödnis Arabiens aber nahm das größte religiöse Abenteuer der Weltgeschichte seinen Ausgang genommen: der Monotheismus. Kein Vulkan, der in historischer Zeit explodierte, liegt Jerusalem näher“, erklärt der zum Sir geadelte Physiker Von der University of Cambridge.
Jahwe, ein Gott
der heißen Gase?
Auch die Theologin
Margot Käßmann unterstützt die Kratertheorie, ebenso der Schweizer
Alttestamentler und Agyptologe Othmar Keel, eine weltweit anerkannte Koryphäe
seiner Zunft.
Es ist eine
wirklich seltsame Geschichte, die das Buch Exodus da erzählt — und die genug
Magie hat, um zum achten Mal verfilmt zu werden: Zu Weihnachten kommt Ridley Scotts
gleichnamiges Actionepos in die Kinos.
Anfangs leben die
Israeliten in ägyptischer Sklaverei. Weil der junge Moses einen Aufseher
erschlägt, flieht er außer Lan des — bis nach Midian. Dort erscheint ihm der
Herr auf einem Gipfel in einem flammenden Dornbusch. Er befiehlt: Befreie deine
Brüder und Schwestern aus der Gefangenschaft.
Moses eilt zurück
ins Reich des Pharaos und darf schließlich mit seinen Leuten abziehen. Laut
Bibel begeben sich „600 000 Mann“ auf einen langen, trostlosen Fußmarsch. Der
Auszug aus Ägypten führt den Propheten und seine Leute schließlich wieder nach
Midian, zum Gottesberg.
Historiker
vermuten, dass beim Bau der bis zu 30 km? großen Ramses-Stadt (um 1278 v. Chr.) Israeliten als Zwangsarbeiter tätig waren.
Von dort soll der Auszug aus Ägypten gestartet sein. Die Bibel nennt 42 Stationen, die das von
Moses geführte Volk passiert. "
Exodusroute in traditioneller Deutung
Die Israeliten
wanderten entlang dem Roten Meer zum Berg Sinai, wo sich Gott offenbarte. Am
Fuß des Berges steht heute das Katharinenkloster. Über Umwege ging es weiter
bis ins Gelobte Land Kanaan.
Erneut besteigt
der Anführer den Gipfel. Diesmal erhält er dort die Gesetzestafel mit den Zehn
Geboten, mit Flammenschrift in Stein geritzt. Danach schließt Gott einen Bund
mit dem Volk und Verspricht ihm das „Gelobte Land“.
Insgesamt nennt
die Bibel 42 Stationen, die der Trupp bei seiner Wüstenwanderung passiert.
Allein an der Entschlüsselung dieser Angaben rätselt die Zunft schon seit bald
500 Jahren herum. Die meisten Alttestamentler glaubten bislang, dass die
Israeliten auf dem Sinai im Kreis herumirrten.
Humphreys, aber
auch andere Forscher deuten die Hinweise nun ganz anders. Demnach zogen die
Fliehenden entlang einer alten Handelsroute direkt zum Roten Meer und bogen dann
nach rechts ab. Sie liefen also viel weiter Richtung Arabien als gedacht — bis
an den Rand der Vulkanfelder.
Bestärkt wird der
Verdacht durch weitere Daten aus der Bibel. Der geheimnisvolle Gottesberg wird
dort gleich mehrfach fernab, irgendwo im Süden, verortet. Aber auch der Koran (Sure
7,85) nennt diese Richtung. Der antike Historiker Flavius Josephus schildert
sogar, dass sich Moses durch Staub und Windstürme hindurch bis zur Oase
„Madiana“ Vorkämpfte. Dies war die wichtigste Stadt von Midian.
Stand Mose, der
große Religionsstifter, also am Vulkan Hala al-Badr, als er vom Allmächtigen die
Moralgesetze erhielt? Das hieße: Am Anfang war das Feuer.
Für die verblüffende
Umdeutung spricht ein weiteres Indiz. Der älteste Hinweis auf Jahwe, den Herrn
der Schöpfung (den die Juden mit dem Tetragramm JHWH schrieben), prangt an
einer etwa 3400 Jahre alten ägyptischen Tempelwand. Die Inschrift zählt Völker
auf, die der Pharao besiegte. Erwähnt wird auch ein „Land der Schasu JHW“. Ein
Teil der letzten Hieroglyphe ist abgebrochen.
Die Entdeckung hat
die gesamte Zunft erschüttert. Die Schasu? Das Volk lebte von Viehzucht und
Karawanenhandel. Und es lebte in Midian.
Zeugnisse belegen,
dass die Wüstenclans mit ihren Schaf- und Ziegenherden bis nach Palästina
zogen. Die Leute trugen Röcke mit baumelnden Quasten. Bewaffnet waren sie mit
Speeren und Bumerangs oder Krummdolchen. Auf einem Relief sind sie als
Beschnittene dargestellt.
Die Schasu : das auserwählte Volk.
Die Flüchtenden
zogen zum Golf von Akaba und von dort weiter nach Süden. Antiken Quellen
zufolge erreichten sie die Landschaft Midian in Arabien, die Heimat von
Schasu-Nomaden.
H In der Region
erheben sich schroffe Berge und Vulkane. Der Bibel zufolge sitzt Jahwe auf
einem rauchenden Feuerberg. Einige Forscher sehen deshalb den 1770 m hohen Hala
al-Badr als den wahren Berg Gottes an.
In 5. Buch Moses 1
wird erwähnt, dass Karawanen „elf Tage“ (rund 500 km)benötigen, wenn sie von Kadesch-Barnea
zum Gottesberg reisen. Auch das spricht für eine Wanderung nach Arabien.
Die Nomaden würden
„wesentliche Identifikationsmerkmale“ des auserwählten Volkes der Bibel
aufweisen, erklärt der Schweizer Theologe Thomas Staubli. Denn unstete
Viehhirten waren auch jene Leute, die das Alte Testament „Israeliten“oder
„Hebräer“ nennt.
Der Erzvater
Abraham pendelt mit seinen Schafen vom Euphrat bis zum Nil. Das Gefolge um Moses
schleppt bei seinen Wanderungen ein mobiles Heiligtum, die Bundeslade, mit
sich. Rituale feiert es in einem zusammenklappbaren Tempel, der „Stiftshütte“.
Besonders
verblüffend: Die Schasu-Nomaden erreichten nachweislich Jerusalem. Am
Tempelberg, wo sich heute der (muslimische) Felsendom und die Aksa-Moschee erheben,
wurde eine fast 3000 Jahre alte Figur entdeckt. Sie zeigt einen typischen
Vertreter dieser Beduinen, mit spitzem Kinnbart und einem Stirnband, das die Haare
hochdrückt.
Kein Zweifel: Die
Alttestamentler warten mit erstaunlichen Erkenntnissen auf. Unterstützt von
Papyrologen, Keramikern, Kohlenstoffdatierern oder Assyriologen leuchten sie
die dunklen Bereiche der Heiligen Schrift aus, um die Wahrheit hinter den
Heilsbotschaften zu erkennen.
Heute tobt
blutiger Streit in Israel, Gaza, Syrien oder im Irak. Es geht um Land und um
ökonomische Macht. Aber viel zu oft dreht es sich auch um Religion, um uralte Sakrale
Texte: die Tora, den Koran oder die Worte Jesu.
Ist es naiv, der
Wissenschaft zu lauschen, wenn es um aktuelle Gebietsansprüche entscheiden.
Aber Maßstäbe setzen. Besonnene Forschung kann aufklären, Legenden von
messbaren Befunden trennen — und die Märchen trotzdem leben lassen.
Allein die
Geschichte der ersten drei Urkönige, Saul, David und Salomo, wird in der Bibel in 66
Kapiteln ausgebreitet. Blutige Thronwirren und Kriege werden geschildert — und
der Aufstieg Israels vom losen Stammesgefüge zur Nation.
Nur: Was geschah
vom 12. bis zum 10. Jahrhundert vor Christus wirklich? Die ersten
Schasu-Nomaden, die sich im Bergland der Levante sesshaft machten, hinter ließen keine
Schriftzeichen, weder Tempel noch Altäre. Ihre Ruinen weisen schwer deutbare
Zerstörungen auf.
Während der Geburt Gottes herrschte das Chaos.
Doch in jüngster
Zeit sind den Ausgräbern wichtige Funde gelungen. Beispiel:
Exodus 32 erzählt
vom Tanz ums Goldene Kalb: Während Moses die Zehn Gebote vom Berg holt,
schmelzen sich die Israeliten aus dem Metall ihrer Ohrringe einen „eggel“, einen
jungen Stier, wie es in der hebräischen Urschrift heißt.
Genau solch ein
Götze wurde im Tempel von Atarot, 35 Kilometer südöstlich von Jerusalem,
entdeckt. Es ist ein Rind aus gebranntem Ton, hergestellt um 900 vor Christus, die
Forscher sprechen von einem „Ausnahmefund“.
Bovine Statuen
dieser Art waren in der Gegend einst weit verbreitet. Selbst Jahwe wurde
anfangs wohl als Huftier verkörpert. Das Alte Testament
berichtet, dass Jerobeam, ein früher König Israels (931 bis 901 vor Christus),
zwei Tempel erbauen ließ. In beiden standen Kälber.
Zwar tut die Bibel
so, als wäre bereits Salomo ein stockfrommer Monotheist gewesen. Doch in
Wahrheit hielt sich im Gelobten Land vor 3000 Jahren noch kein Mensch an das
zweite Gebot („Du sollst dir kein Gottesbild machen“).
Und auch das erste
(„Du sollst neben mir keine anderen Götter haben“) wurde missachtet.
Grabungen zeigen,
dass es bei den Hebräern von Spuk und Zauberei nur so wimmelte. Auf Berghöhen
und unter Bäumen räucherten die Altare. Die Forscher entdeckten Gefäße für
Trankopfer und Figurinen der Liebesgöttin Astarte. Berichten zufolge wurden sie
„an allen größeren judaischen Orten aus dem ausgehenden 7. Jahrhundert vor
Christus in privaten Wohnanlagen gefunden“.
Dem Unterweltgott
Moloch war auf dem Friedhof vor den Toren Jerusalems sogar ein großer Kultplatz
gewidmet. Dort ließen die Bürger ihre „Kinder durchs Feuer gehen“, wie es in
der Bibel heißt. Der Ablauf des schaurig klingenden Rituals ist nicht bekannt.
Auch die reale
Lage im antiken Kanaan stellt sich nun ganz anders dar. Die Bibel berichtet, wie das
Gottesvolk unter dem Befehl des Feldherrn Josua ins verheißene Land einfällt
und dort alles kurz und klein schlägt. Tatsächlich ging der Feldzug ziemlich
schief.
Schuld daran waren
nicht zuletzt die Philister, die im Alten Testament als Erzfeinde Israels
auftreten. Sie siedelten gleich nebenan. In der Küstenebene besaßen sie fünf
große Metropolen.
Berühmt ist die
Geschichte vom riesenhaften Philister Goliat. Glaubt man dem Buch Samuel, war der
Bursche „sechs Ellen und eine Spanne“ (etwa 2,90 Meter)groß, was ihn
allerdings nicht davor schützte, nach einem Volltreffer mit der Steinschleuder
Davids, des späteren Königs, den Kopf abgetrennt zu bekommen.
Glaubwürdig ist
der Knock-out indes nicht. Denn: „Die Nachbarn waren den Israeliten haushoch
überlegen, sie hatten Kampfwagen und besaßen ein Monopol auf
Metalle“, erklärt Angelika Berlejung.
Die Assyriologin
von der Universität Leipzig gräbt derzeit im antiken Hafen der Philisterstadt
Aschdod. Zwar musste sie wegen des Raketenbeschusses auf Gaza-Stadt im
vergangenen Sommer die Arbeit unterbrechen. Doch da hatte ihr Team schon nackte
Göttinnen, braun-weiße Edelkeramik und eine monumentale Schutzmauer
freigelegt. Den Befunden zufolge war Aschdod um 900 vor Christus fünfmal größer als
Jerusalem. Wenn ein Hebräer einen Pflug oder auch nur einen Nagel kaufen
wollte, musste er ihn beim Feind erbetteln.
Schwerter bekamen
sie anfangs überhaupt nicht. Der Archäologe Hermann Michael Niemann aus Rostock
spricht von einem „Waffenembargo“. Die Bibel überspielt diese Pleite.
Stattdessen, so der Forscher, bietet sie „emotionale Tiraden voller Abneigung
gegen die reichen Küstenbewohner“.
An diese Angaben
hielten sich auch die Ausgräber. Fanden sie in Jericho kaputte Ziegel, deuteten
sie die als Schaden aus Josuas Blitzkrieg. Spürten sie Fundamente großer
Paläste auf, musste Salomo sie erbaut haben.
Doch so war es
eben nicht. Zwar berichtet die Bibel (1. Könige 5), dass Salomo einem
glanzvollen Staat vorstand, der bis zum Euphrat reichte. Der König speiste Perlhühner und
ließ sich Affen bringen. Seine Schiffe fuhren bis nach Spanien. In seinem Harem
lebten 700 fürstliche und 300 weitere Nebenfrauen.
Leider bezeugt
nicht ein Stein dieses Mythenreich.
Überall wird
enttarnt, entzerrt, zurechtgerückt. Die moderne theologische Forschung gleicht
einer einzigen Desillusion.
Entsprechend
vorsichtig gilt es im „Buch der Bücher“ zu blättern. Zwar enthält das Werk
echte Annalen, Königslisten und Chroniken. Zugleich aber tischt es Legenden,
Gerüchte und ideologisch verbrämte Geschichtsdeutungen auf. Diese wurden im
Laufe der Zeit mehrfach redigiert, neu verzahnt und mit manipulierenden
Einschüben versehen. Einige Zensoren arbeiteten im siebten Jahrhundert vor
Christus, andere zur Zeit Platons oder noch später.
Dabei schlichen
sich Widersprüche ein. Der Erzvater Abraham soll vor über 4000 Jahren gelebt
haben. Nur wieso reitet er dann auf einem Kamel? Das Tier war damals noch gar
nicht gezähmt.
Die
Goliat-Geschichte zeigt das Gestoppel am besten: Die älteste Schicht der Sage stammt
wohl aus dem elften Jahrhundert vor Christus. Da hieß der Held noch „El-hanan“.
Erst später münzte man die Story auf König David um. Goliat erhielt nun einen
„Helm aus Bronze“ samt Eisenpanzer und Beinschienen. Er sah plötzlich aus wie ein
griechischer Soldat. Den letzten erzählerischen Schliff bekam der Bericht erst um
Christi Geburt.
All das besagt:
Eine Offenbarung aus einem Guss hat es nie gegeben. Die Bibel ist Menschenwerk,
teils von grandioser literarischer Qualität, teils mit trügerischer Absicht
verfasst.
Letzteres gilt vor
allem für die chronologischen Angaben der Bibel. Sie haben sich als falsch
entpuppt.
Wer die Daten in
der Heiligen Schrift zusammenzählt, kann sich Stufe für Stufe bis in die
Bronzezeit zurückhangeln. Abraham lebte demnach um 2100 vor Christus, noch vor der
Erfindung der Sonnenuhr.
Die Sklaverei am
Nil (Dauer: 430 Jahre)endete um 1440 vor Christus. Es folgten der Exodus und die
Eroberung des verheißenen Landes. Um 1020 vor Christus müsste Saul den Thron
bestiegen haben.
So geht es fort
und fort. Überall wird enttarnt, entzerrt, zurechtgerückt. Die moderne
theologische Forschung gleicht einer einzigen Desillusion.
Der vielleicht
wichtigste Mann in diesem Enthüllungsprozess wohnt selbst im Heiligen Land:
Israel Finkelstein, Direktor des Archäologischen Instituts der Universität von
Tel Aviv. Er liebt gutes Essen und Rotwein. Daheim spricht er französisch, seine
Frau ist eine Jüdin aus Paris. Bei Ausgrabungen schläft er nicht im
Flatterzelt, sondern in einer klimatisierten Pension und genießt morgens das
Frühstücksbuffet.
Geht es ums Erbe
seiner Ahnen, wird Finkelstein allerdings nüchtern und unsentimental. 30 Jahre
lang hat er mit dem Spatel im Boden gekratzt. Nun zahlt sich die Fummelei aus.
Die Kenntnis von
der „Chronologie der eisenzeitlichen Schichten und Monumentalbauten“, erklärt
der Forscher, „wurde in den letzten 15 Jahren wahrhaft revolutioniert“. Aus
Abertausenden Scherben hat man eine „Keramiktypologie“ mit sechs
Zeitabschnitten erstellt. Zudem liefern Archäologe Finkelstein wichtigster Mann
im Enthüllungsprozess gegen jede Menge Kohlenstoffdatierungen von verkohlten
Samen, Olivenkernen oder verrotteten Holzresten vor.
Mit dieser neuen,
mächtigen Zeitachse lässt sich das Trümmerchaos endlich takten.
In seinem
aktuellen Buch „Das vergessene Königreich“ wagt der Archäologe nun erstmals einen
Gesamtüberblick‘. Er ordnet die Abläufe von 1200 bis 750 vor Christus
verblüffend neu: was sich in Palästina wirklich abspielte — ein Blick in die
Wiege Gottes.
Zwar ist das Buch
sperrig und trocken geschrieben. Es entstand aus einer Vorlesungsreihe. Doch
das Lesen lohnt sich. Bei Finkelstein schrumpft das strahlende Jerusalem zum
schlichten Dorf. David wird zum Räuber Hotzenplotz, umgeben von„Männern mit
Knüppeln, die herumbrüllten, fluchten und spuckten“.
Dass derlei
Ansichten nicht allen gefallen, verwundert nicht. Vor allem die „Maximalisten“ halten
dagegen. Diese Archäologenfraktion möchte die Heilige Schrift am liebsten Wort
für Wort mit Scherben und Trümmerfunden beweisen. In den USA sind die
Vertreter der alten Schule noch vereinzelt anzutreffen.
Mehr noch in
Israel. Dort arbeiten Maximalisten oft eng mit der Siedlerbewegung zusammen. Die
Forscherin Eilat Masar, die im arabischen Viertel von Jerusalem „Davids Palast“
gefunden haben will, erhielt Geld vom orthodoxen Shalem Center.
Masar hat
Mauerstümpfe freigelegt, die kritische Kollegen ins achte Jahrhundert vor Christus
datieren. Sie aber sieht darin Zeugnisse einer viel älteren, leuchtenden Epoche.
„Stets geht es darum, die Vergangenheit möglichst glorreich darzustellen, um
aktuelle Gebietsansprüche besser begründen zu können“, ärgert sich Gunnar Lehmann,
deutscher Archäologe mit israelischem Pass an der Ben-Gurion University in
Beerscheba.
Das neueste
Projekt der Strenggläubigen ist eine Art biblisches Disneyland im arabischen
Stadtteil Silwan. Geplant ist ein History-Park mit einem siebenstöckigen Museum.
Mitfinanziert wird der Gan Hemelech („Garten der Könige“) von der ultrakonservativen
Stiftung Elad. 22 palästinensische Häuser sollen dafür abgerissen werden.
Bürgermeister Nir
Barkat wünscht sich dort eine Oase der Ruhe mit Harfenklängen, Olivenbäumen
und blühenden Stiefmütterchen. Es sei der Ort, an dem Israels Urkönige „ihre
Frauen zum Spaziergang ausführten“.
Das klingt nach
orientalischem Märchen und galantem Lustwandeln im Palastpark. Dabei waren
David und Salomo rohe Fürsten der Eisenzeit, die aus Tonbechern tranken.
Ebenso beharren
Nationalkonservative darauf, dass der Tempelberg nicht den Arabern, sondern
ihnen zuzusprechen sei — schließlich hätten ihre Vorfahren dort einst ein
glänzendes Gotteshaus erbaut. Gunnar Lehmann nennt das eine „romantische
Vorstellung“.
In der Tat:
Betrachtet man kühl die Überbleibsel der Vergangenheit, ergibt sich ein weniger
ruhmreiches Bild. Zwar heißt es im 1. Buch der Könige, dass Salomo 957 vor
Christus auf dem Zionsberg ein vergoldetes Heiligtum erbauen ließ, für das
angeblich 150000 Steinhauer und Lastträger schufteten. Doch auch von diesem
Prachttempel ließ sich bislang kein Krümel nachweisen.
Außerdem haben die
Hebräer nie allein im Gelobten Land gelebt. Es gab dort immer ein Gewirr an
Völkern. Wem wann warum welches Stück Land gehörte, war selten unstrittig.
Bis etwa 1200 vor
Christus, so viel ist klar, beherrschten eindeutig die Ägypter das Land. Die
Levante war ihre Kolonie. Der Pharao kontrollierte die Städte und Märkte, er betrieb
in der Wüste Sinai Türkis- und Kupferminen.
Über eine Trasse,
den „Horusweg“, der vom rechten Nilarm zur Garnisonsstadt Gaza führte,
eilten seine Truppen im Alarmfall in nur elf Tagen heran. Streng bewacht wurde vor
allem der Luxushandel entlang den Fernstraßen. Auf zwei Dinge waren die Ägypter
besonders scharf: Purpurschnecken (zur Farbherstellung) und Zedern (als
Bauholz). Beides kam aus dem Libanon.
Die
umherwandernden Schasu waren in diesem weit gespannten ökonomischen Netz nur
Störenfriede. Bereits Pharao Sethos I. brüstete sich im Jahr 1290 vor Christus,
er habe sie „zu Leichenhaufen“ getürmt. Ein Bild zeigt ihn in einem Kampfwagen,
an dem abgeschnittene Nomadenköpfe baumeln.
Abertausende
Steppenhirten gerieten damals bei Razzien in die Fänge der Pharaonen. Amenophis
II. ließ Schasu massenhaft einfangen und in die Steinbrüche und Minen
abkommandieren. Die biblische Legende von der Knechtschaft der Israeliten am
Nil — hier könnte sie ihren Ausgang genommen haben.
Dann aber folgte
der Bruch: Ägypten geriet ins Taumeln und verlor die Macht über seine Kolonie.
Der Grund: Um 1200
vor Christus stürmten Eindringlinge aus Europa und Kleinasien mit rumpelnden
Ochsenkarren heran. Andere kamen mit dem Schiff übers Meer. Die Leute stammten
von Kreta, Zypern oder den Ionischen Inseln. Ein gigantisches Völkerheer,
gierig nach Land.
Zwar gelang es
Pharao Ramses III., die Angreifer zu stoppen und sie an der Küste Palästinas
anzusiedeln. Dort vermischten sich die Fremden untereinander. Es entstand eine
neue Ethnie: die Philister.
Die Steppenhirten
waren Störenfriede im Netz des Pharaos zur Ruhe aber kam
die Welt nicht. Bald stritt jeder mit jedem. Städte wurden niedergebrannt,
Paläste erstürmt. Als sich Ägypten um 1130 vor Christus endgültig zurückzog,
folgte der totale Kollaps.
Der Zusammenbruch
traf auch das Hinterland bis hinab nach Arabien, wo die Nomaden mit ihren
Herden weideten. Als Produzenten von Fleisch, Käse und Fellen waren die Stämme
auf den Handel mit den Städten an der Küste angewiesen. Dort konnten sie
Getreide eintauschen. Doch diese Orte waren nun kaputt.
Also griffen die
Viehhüter selbst zum Pflug. Eine massive Besiedlungswelle erfasste das
zentrale Bergland zwischen der Jesreel-Ebene und dem Tal von Beerscheba. Von
1200 bis 1000 vor Christus stieg die Zahl der Dörfer massiv an. Am Ende waren
aus 30 Orten über 250 geworden.
Die Urzelle Israels.
Die Pioniere säten
und rodeten Bäume. Ihre winzigen Dörfer lagen meist auf Bergspitzen. Im
Innenhof der Lehmhütten stand Vieh. Regen fing man in vergipsten Zisternen auf. Die
Siedlungen hatten zunächst weder Tempel noch Speicher.
Immerhin besaßen
die Leute bereits einen Kultplatz. Die Bibel erwähnt, dass er in Schilo lag.
Dort stand die Bundeslade aus Akazienholz. Dass sich darin zwei Gesetzestafeln
befanden, ist allerdings eine Erfindung aus späterer Zeit.
Etwa um 1050 vor Christus
beruhigte sich die Lage etwas. Die alteingesessenen Kanaaniter bauten
ihre vernichteten Städte wieder auf. Allerorten wurde gemauert und gehämmert.
Auch die Städte der Philister wuchsen; sie waren bald 20 und mehr Hektar groß,
gespickt mit Villen und Trutztürmen. Die Einwohner trieben Fernhandel, trugen
Schmuck und labten sich an Meeresfrüchten.
Die Urväter
Israels dagegen lebten wie bäuerliche Schrate im abseitigen Gestrüpp des
Hügellandes und beackerten die karge Scholle. Sie waren Selbstversorger, die Fladenbrot
aßen. Ihre Heere waren mit Holzkeulen bewaffnet, Dorfvorsteher führten die
Rotten an.
Im Alten Testament
wird das zivilisatorische Gefälle gern ins Gegenteil verkehrt. Der Kraftprotz
Simson beispielsweise kann in der Bibel Löwen mit der Hand zerreißen. Das Buch
der Richter erzählt, wie er mit einem Eselsknochen tausend Philister tothaut.
All das ist
Wunschdenken. Zwar formierte sich im Hügelland langsam ein Gemeinwesen. Die
Dörfer rückten organisatorisch zusammen. Doch als die sesshaft gewordenen
Schasu es wagten, ihre eisengerüsteten Nachbarn in der Ebene frontal anzugreifen,
erlitten sie eine schlimme Niederlage. Bei Eben-Eser verloren sie 30 000 Soldaten.
Der Feind stahl sogar die Bundeslade.
In diesem Moment
tritt im Alten Testament ein großer Militärheld auf. Verzweifelt ob der
Rückschläge, ruft das Volk nach einem Führer, „wie ihn alle Heiden haben“.Die
Wahl fällt auf einen schönen Mann, der seine Mitstreiter „um Haupteslänge“ überragt.
Es ist Saul, der erste König von Israel.
Kaum eine Figur
ist in der Bibel so tragisch gestaltet, kaum eine fällt tiefer als Saul.
Anfangs sieht es noch gut aus. Der Musikus — er gilt als Verfasser der biblischen
Psalmen — und steigt alsbald zum Offizier auf.
Das erregt den
Neid des Regierungschefs. „Saul hat Tausend erschlagen, David aber
Zehntausend“, jubelt das Volk. Also sinnt der Eifersüchtige auf eine böse Falle.
„Bring mir 100
Vorhäute der Feind’“, verlangt er. David schleppt 200 an. Am Ende ist Saul so
rasend vor Wut, dass er den Konkurrenten zu töten versucht. David flieht.
Sein missgünstiger
Dienstherr taumelt derweil dem Untergang entgegen. Bei Tell Afek, dort, wo das
Gebirge in die Ebene abfällt, kommt es zur erneuten Schlacht mit den
Philistern. Und wieder endet sie in der Katastrophe. Die gesamte Hebräer Armee wird
zerrieben. Der König stürzt sich ins Schwert.
Aber: Nicht eine
einzige außerbiblische Quelle bezeugt Sauls Existenz. Was passierte damals
wirklich?
Zwar erhebt sich
dort, wo Sauls Lehmschloss wohl stand, noch heute ein Ruinenhügel. Doch
ausgerechnet am „Tell el Ful“ verhindert eine Bauruine alle Forschung:
Jordaniens
damaliger König Hussein plante dort in den Sechzigerjahren eine Sommerresidenz.
Während des Sechstagekriegs stoppten die Israelis die Arbeiten. Nun vergammelt
alles.
Die Bibel dagegen
kommt mit zahlreichen Details daher. Sie nennt sogar den Oberhirten von Sauls
Viehherden mit Namen. Niedergeschrieben wurde die Geschichte aber erst um 750
vor Christus. Noch bis etwa 470 vor Christus feilten die Priester daran herum.
Dabei schlich sich
ein verdächtig tendenziöser Ton in
den Bericht. Saul ist ungestüm, jähzornig,
fast wahnhaft. Der Leichnam von
König Saul wurde von den Siegern zur Abschreckung ans
Tor einer ägyptischen Festung genagelt.
Prophet Samuel
salbt den Erwählten im Namen des Herrn.
Dann beginnt der Neue zum Getute von
Widderhörnern nadelstichartig die
Philisterarmee zu bekriegen. Es gelingen
mehrere Siege.
Der Königshof — so
die Bibel — befand sich damals in
Gibea, wenige Kilometer nördlich von
Jerusalem. In rustikalem Outfit hält der König
Hof im Freien unter einerTamariske.
Bewaffnet ist er mit einem Spieß. Die
Soldaten der zwölf Stämme ruft Saul zusammen,
indem er ein Rind zerstückelt und jedem
Clan einen blutigen Fleischklumpen
schickt.
Begleitet wird er
von David, einem Hirten aus Betlehem.
Der hübsche Jüngling wird geholt, um
den König, der an Depressionen leidet, mit
fingerfertigem Zitherspiel
aufzuheitern. In einer anderen Szene (1. Samuel
19) gebärdet er sich als ekstatischer
Tänzer. Er lässt sogar Priester töten.
Viele Experten
glauben, dass die Bibelautoren an dem
Urkönig schlicht Rufmord begingen. Sie
wollten ihn gezielt madig machen, um ihren
eigenen Nationalhelden und Stammvater
David, den mythischen Eroberer
Jerusalems, umso mehr glänzen zu lassen.
Trotz all dieser
Verdrehungen gelingt es dem Archäologen
Finkelstein nun, eine Art Steckbrief zu
erstellen. Demnach gründete der wahre
Saul um 950 vor Christus im unwegsamen
Bergland einen Zwergstaat. Das
Kerngebiet dieses Häuptlingstums war lediglich
20 mal 15 Kilometer groß.
Von dort dehnte der
Herrscher seine Macht langsam aus.
Finkelstein zufolge drang er bald auch
in die Täler des Nordens vor, wo die
reichen Städte der Kanaaniter lagen.
Die Orte weisen Brandspuren auf. Sie
wurden brutal überfallen und ausgelöscht.
Mit dieser Attacke
hatten sich die Guerilleros aus
dem unwegsamen Bergland aber wohl zu
weit vorgewagt. Durch die Ebenen
verliefen die Handelspfade. Hier trotteten die
Karawanen der Kanaaniter,
Philister, Phönizier und Ägypter, bepackt mit Gold,
Balsam und edlen Hölzern.
Deshalb folgte
alsbald die Rache. Tatsache ist, dass
irgendwann zwischen 950 und 930 vor
Christus der Pharao Schoschenk mit einem
Riesenheer nach Palästina zog. Unter
seinem Regime war Ägypten für kurze Zeit
wieder erblüht. Aus In Schriften kennt
man über 120 Orte, in die der Potentat
vorstieß.
Der Feldzug gilt
bislang als ein einziges Rätsel. Denn
Schoschenk war mit seinem Heer auch ins arme
Bergland mit seinen Hirtennestern
gezogen. Er wagte sich in eine Zone, wo
seine Kampfwagen nicht fahren konnten und
hinter jedem Gebüsch ein Hinterhalt
drohte. Kein Pharao vor ihm hatte sich in
diese No-go-Area hineingetraut.
Finkelstein nennt
nun erstmals ein plausibles Motiv für
die seltsame Militäraktion:
In den Bergen
hatte sich ein kleines, aber aufstrebendes und
aggressives „saulidisches“
Machtzentrum gebildet. Dieses wollte der Nilboss
vernichten.
Dafür spricht noch
ein anderer Hinweis aus der Bibel. Sie
berichtet, dass Sauls Leichnam von den
Siegern zur Abschreckung in „Bet
Schean“ ans Tor genagelt wurde. Grabungen
ergaben, dass an dem
Ort eine Festung
der Ägypter stand. Es war ihr nördlichster
Außenposten, nahe dem See
Genezareth.
Damit lichtet sich
der Nebel um den Schattenkönig
Saul. Finkelstein nennt ihn einen tüchtigen
Heerführer, der unter die Räder kam, weil er
es gewagt hatte, die Großmächte zu
reizen.
Aber auch David,
den das Alte Testament als genialen
Leierspieler mit „schönen Augen“,
preist, zeigt nun sein wahres Gesicht. Dass der
Mann lebte, ist belegt.
Vor einiger Zeit
kam eine 2850 Jahre alte Stele zutage, die
ein „Haus Davids“ nennt.
Es gab den
Dynastiegründer wirklich.
Nur eben nicht als
Kronenträger im Edelzwirn, sondern
eher als Strauchdieb.
Der
Alttestamentler Ernst Axel Knauf nennt ihn einen
„Banditen und Serienmörder, dem es auf
eine Leiche mehr oder weniger nicht
ankam“.
Der Grund für das
harte Urteil: Die Bibel erzählt, dass
David nach seiner Flucht zunächst in einer
Höhle in der Wüste lebt und eine Bande um
sich schart. Es sind „Männer, die in
Not und Schulden und verbitterten Herzens
waren“. Mit ihnen zieht er raubend und
plündernd durchs dünn besiedelte Juda.
Sodann tritt der
Bursche als Milizführer mitsamt 600
finsteren Kämpfern in den Dienst der
Philisterstadt Gat. Er wird Söldner beim Erzfeind.
Die Bande agiert bis hinunter in den
trockenen Negev und überfällt fremde
Stämme. Frauen und Kinder werden
abgeschlachtet.
Die Raufbolde
ähneln verblüffend jenen historisch
greifbaren Apiru, Outlaws, die einst die Berge
Palästinas als Rückzugsort nutzten. Vor allem
zwischen 1200 und 900 vor Christus
wimmelte es dort von ausgebrochenen Sklaven,
Steuerflüchtlingen und anderen
Unbeugsamen, die sich dem staatlichen
Zugriff entzogen und von Diebstählen lebten.
Für Finkelstein
war David solch ein „Apiru-Anführer“.
Die Sache mit dem schönen Knaben, das
Leierspiel, die Poesie — all das sei nur
Zuckerguss, der in späterer Zeit entstand.
Der Berner
Alttestamentler Walter Dietrich sieht es
ebenso. Er hält den historischen David für
einen „Vasallen, der die Südostflanke des
Philisterlandes gegen eindringende
Wüstenclans abschirmte und da für Lohn erhielt“.
Sogar an der Vernichtungsschlacht
gegen Saul (1. Samuel 29) will er sich mit
seiner Bande gegen Sold beteiligen.
Von Stammesstolz
keine Spur.
Zugleich sinnt der
Söldner auf territoriale Ausdehnung,
er wirtschaftet geschickt in die eigene
Tasche. Das Buch Samuel erwähnt, dass er wie
ein Mafioso den eigenen Leuten
Schutzgeld abpresst. Als sich der reiche
Viehzüchter Nabal weigert zu zahlen, treibt er
ihn in den Tod und heiratet dessen Frau.
Schließlich
gelingt es dem Warlord, die karstige Hügelwelt
Judas so weit zu kontrollieren, dass
er sich in Hebron zum König ausrufen
lässt. Neuen Daten zufolge müsste das um 940
vor Christus passiert
sein. Der Mann
hatte es zum „Bandenführer eines
Scheichtums“ (Othmar Keel) gebracht, in dem es
kaum 20 Dörfer gab.
Am Ende
triumphiert David auf ganzer Linie — zumindest
in der Heiligen Schrift.
Durch Tricks und
Morde gelingt es ihm, das durch die
militärische Niederlage geschwächte
Königreich der „Sauliden“ zu beerben. So
vereinigt der Rebell alle zwölf Stämme und steigt
zum Schöpfer eines Superstaats auf.
Die aus den
Trümmern gesiebten Fakten ergeben jetzt ein
bescheideneres Bild. Der wahre David hinter
dem Mythos war nur ein Häuptling, der
ein abseitiges und trockenes Ländle
regierte, in dem kaum Ackerbau möglich
war.
Und auch die Stadt
Jerusalem, die der Religionsheld
angeblich — durch einen unterirdischen Kanal
kriechend — eroberte, war in der frühen
Eisenzeit noch keine Prunk-Zitadelle,
sondern nur eine schlichte, aus
Bruchsteinen erbaute Bergfestung mit kaum 200
Einwohnern.
Es stimmt schon,
die Forschung mutet den Gläubigen des
Kreuzes, der Tora und des Korans
allerlei Enttäuschungen zu. Der Mythos vom
ruhmreichen David, der im christlichen
Mittelalter als politische Idealgestalt galt, ist
verweht.
Doch so ist es
eben mit alten, heiligen Büchern, die — man
weiß nicht, von wem — hinter dicken
Tempelwänden verfasst wurden. Sie zeichnen
die Anfänge der Religionen gern im
Glanzbild der Offenbarung.
Justiziabel war
das Wort Gottes jedenfalls nie. Landrechte
oder Katastergrenzen, die heute noch
Gültigkeit hätten, lassen sich daraus nicht
ableiten.
Der SPIEGEL 52/2014 Matthias Schulz
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen