Der MARKTPLATZ der DÄMONEN
Heute weiß man
aus der Neurobiologie,
dass der menschliche Verstand nur sehr wenig Einfluss
hat auf das, was wir tun oder sind. Viel mehr sind Menschen meist gefangen in
höchst überzeugenden Denkmustern, geboren aus einem Cocktail von körpereigenen
Opiaten wie Adrenalin und anderen Endorphinen. Vor langer Zeit hätte man sie
Essenzen genannt. Sie sind es, an denen die anorganischen Wesen, die Geister
und Dämonen höchst interessiert sind.
Über die Jahrtausende, in denen Menschen, Priester,
Hohepriester, Heiler, Zauberer, Schamanen mit Geistern und Dämonen durch
verschiedenste Methoden und Rituale interagierten, fragte man sich auch, was
Dämonen so treiben, wenn sie nicht mit Menschen interagierten. Was machen
Geister in ihrer Welt? Machtstreben, wie manche Religionen behaupten, dürfte es
nicht sein, denn dann würden Dämonen die Mächtigen dieser Welt besetzen und
lenken. Dies tun sie aber nicht. Stattdessen wählen sie meist als Opfer unter
Menschen jene aus, die durch Glauben bereits eine Affinität zu Geistern haben.
Seher hatten über die Jahrtausende der
Beobachtung herausgefunden, dass sich im Laufe der Äonen in der Geisterwelt ein
gewisses Äquivalent zum irdischen Treiben entwickelt hat oder aber die Menschen
handeln von Anbeginn nach deren Regeln – dass es die Geisterwelt war, die die
Menschen lehrte, dass Handel eine Unzahl an Möglichkeiten bot, um zu
interagieren. Denn die Ewigkeit zu durchleben - ohne den geringsten Grund zu
handeln - ist unerträglich. Es gäbe keinen Bedarf an irgendwas, weil alle
Bedürfnisse gestillt sind. Nichts müsste mehr bewegt werden in der Ewigkeit,
weil so viel Zeit bereits verging wie es
brauchte, dass alle Dinge ihren Platz gefunden haben – nirgendwo ein zuviel
oder ein zuwenig. Die ewige Starre wäre die Folge. Und so schaffen sich auch
Geister ihre Beweggründe, die sie sich manchmal auch vom menschlichen Treiben
abschauen.
Besonders jener
Zustand des Menschen interessiert sie, wo der Leidensdruck so groß wird, dass
er an die Grenze zum Unerträglichen gelangt, die Folter. Wo die Qual und die
Ekstase zusammenfinden, wo nichts mehr Menschliches übrig bleibt, dort setzen
die Geister und Dämonen mit ihrem Wirken ein. Berauschen durch Mitempfinden am
Schmerz des Menschen weil sie in der Ewigkeit schon lange jedes andere
Empfinden tausendfach durchgekostet haben. Und so kommt es, dass
nichtfleischliche Existenzen oftmals dort zugegen sind, wo Menschen
unmenschliches an anderen Menschen praktizieren. Wo gequält und gefoltert wird,
sind Dämonen mit im Spiel. Der fanatische Glaube und lässt den Menschen
unmenschlich handeln, jenseits von Achtsamkeit. Nicht nur Religionen liefert gibt
wahnsinnigen Eiferern Gründe zum Quälen und gleich die Rechtfertigung dazu. Die
Angst, die Gier und die Macht sind ebenso bestens geeignet, um Menschen zu
Handlungen zu treiben, die jenseits jeglicher Ratio sind.
Die Gier, die
jüngere Halbschwester der Angst liefert nahezu ebenso viele Gründe zum Handeln
wie die Angst. Und als weiteres Mitglied dieser abstrakten Familie käme noch
die Macht hinzu, vielmehr das berauschende Gefühl der Macht, wobei gilt, je
mehr desto besser. Angst, Gier und das Gefühl der Macht sind Güter, die gewollt
werden, liefern sie doch Gründe in der Ewigkeit zu existieren. Und daher gibt
es die Entsprechung eines irdischen Basars: Den Sharidah – den Handelsplatz der
Dämonen.
Essenzen und Informationen
sind die begehrtesten, die wertvollsten der dort gehandelten Güter. Der
Sharidah findet immer irgendwo auf der Welt statt, meist heimlich, im Verborgenen,
im Dunklen. Dort werden Menschen gehandelt, Sklaven um getötet zu werden und
das auf möglichst grausame Weise. Machthaber, deren Schergen Ängste schüren
unter der Bevölkerung, bedienen sich am Sharidah ebenso wie es Dämonen tun,
wenn das Leid des Menschen unerträglich wird. Diese Geister und Dämonen, verdammt
von den gläubigen Lebenden zu endlosem Dasein, zum ewigem Leben, diese anorganischen
Existenzen laben sich an Erinnerungen und gönnen sich schon mal die eine oder andere
Essenz. Deren Gründe zum Handel mögen uns Menschen für immer verborgen bleiben,
doch reflektieren sie in ihren Reichen manche Verhaltensweisen. Gleichwie die
Menschen den vorteilhaftesten oder den am wenig schmerzhaftesten Weg wählen, so
sind auch die Anorganischen auf Vorteil bedacht. Ihren Einfluss in der Welt der
Menschen ist vorzugsweise subtil, oft nicht mehr als ein Gedanke, eine Idee eines
Menschen, der dann aber in seiner Umsetzung zu großer Zerstörung führt. Oder
sie wirken über den Glauben eines Menschen. Besonders anfällig für feinen aber
effizienten dämonischen Einfluss sind jene, die verantwortungslos durch ihr
Leben taumeln, welche die eigenen Lebensumstände gerne auf Gott, Unglück,
Schicksal und Mitmenschen schieben, also andere verantwortlich machen. Sich als
Opfer zu betrachten ist eine äußerst beliebte, weil bequeme Haltung.
So handelt der
Mensch entsprechend seiner Natur – dies steht uns nicht frei. Was uns aber
freisteht, ist die Möglichkeit, über das eigene Handeln die volle Verantwortung
zu übernehmen und so von Beginn an die Haltung des Opfers zu vermeiden.
Eine weitere
seltsame, aber populäre Neigung des Menschen scheint das Vergnügen an Folter
und Schmerz zu sein, besonders wenn diese stellvertretend erlebt werden. Man
atmet tief durch und absorbiert die Leiden der Anderen, die ganze Zeit wissend,
dass die eigenen Schwierigkeiten, so groß sie auch sein mögen, weit geringer
sind als die der Protagonisten in diesem
Buch. In diesem Sinne wünsche ich dem Leser viel Freude an der Sammlung von Berichten
aus der Antike um Folter, Angst und Verzweiflung.
Nietzsche sagte einmal: Wenn du in den Abyss starrst, starrt der Abyss zurück.
Das Obere gleicht dem Unteren.
Und was auch immer oben sein mag,
ist so wie das, was unten ist …
„Tabula Smaragdina“
Hermes Trismegistos
Athen, 560 v. Chr
Der junge Mann schloss leise die Türe zur Bibliothek
seines Vaters. In seinem unschuldigen Gesicht lag Verwirrung, Schrecken und
Trauer. Den mit edlen Hölzern und Marmor verzierten Raum würdigte er mit
keinem Blick. Mit einem tiefen Seufzer setzte er sich an den fein gearbeiteten
Tisch und brach langsam das Siegel. Mit Bedacht entrollte er das Pergament aus
dünnem Lammleder und begann zu lesen:
Tellos, mein lieber Sohn!
Einst fragte ich mich: Was
wird bleiben von mir? Um wie viel veränderte ich den Lauf der Welt? Werde ich
eingehen in die Geschichte als Staatsmann? Als Befreier der Sklaven und Erlöser
aus der Schuld? Werden sie Lieder dafür über mich singen? Solon, Freund des Menschen, der den Göttern trotzte? Oder
werden sie mich genau dafür hassen? Werden es künftige Generationen verstehen,
ohne Angst zu leben und ohne Schuld oder opfern sich und andere weiterhin ohne
Sinn, besinnungslos, grundlos für ein Nichts? All diese Fragen sind nun nicht
mehr von Belang.
Nicht aus weltlichen Gründen
schreibe ich dir. Ich habe meinem Kämmerer die Anweisung gegeben, dir diesen
Brief erst nach meinem letzten Atemzug zu geben. Diesen Brief zu schreiben ist eine
Bürde, welche schwer auf mir lastet. Was ich dir jetzt schreibe, war zu eigenartig,
zu monströs, um es dir zu erzählen. Dein Respekt und Deine Liebe waren die wertvollsten
Dinge, die ich besaß. Ich wollte es nicht riskieren, diese zu verlieren...
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