DIE LEGENDE
von
DER JÄGERIN
Der Ruf des Adlers
Nur ihre Geduld und ihren Willen und sonst nichts, dass sie ihr Eigen nannte, aber aus beiden baute sie alles auf, was sie benötigte.Sie lebte in der Demut des Kriegers.
Die Jägerin wartete. Und während sie wartete, begehrte sie nichts. Schon das Geringste wäre mehr gewesen, als sie annehmen konnte.
Die Handlungen der Jägerin waren frei von Zwängen und Begründungen. Das zu tun, was sie eben tat, war ihre Freude und das eigentliche Ziel. Sie lebte diese Freiheit und schuf sich durch das, was sie dachte, ihre Welt jeden Tag neu. Die Jägerin kannte nur das Vertrauen zur Erde, die sie nährte und schützte. Sie hatte keine Zweifel mehr und keine Ängste, keinen trockenen Platz bei einem Unwetter zu finden oder durch Gebiete zu wandern, die ihr keine Nahrung boten.
Bevor sie trank segnete sie das Wasser des Weihers, und während sie trank, sandte die Sonne ihre ersten wärmenden Strahlen über den Horizont.
Die Jägerin wusste, dass alles, jeder Baum, jeder Kiesel und jedes Tier sein unergründliches Geheimnis barg. Und sie kannte ihre Pflicht, diese Geheimnisse zu enträtseln, denn alles diente ihr auf ihrer großen Wanderung hin zur Mitte, zur Quelle, zur Erkenntnis.
Manchmal schien ihr der Weg erbarmungslos und ihr Glaube wurde in der Welt des Adlers auf harte Proben gestellt. Einer Welt, aus der sie jetzt zurückkehrte und die sie eine andere Wirklichkeit lehrte. Ob sie nun an den Aufgaben gescheitert war, die der Adler für sie bereithielt, oder ob sie siegte: sie wusste nun, dass es nicht vergebens war.
Damals, als sie als Opfer auserkoren war von einem Dämon der Nacht und sie sich mit Freude ihrer Göttin hingab und sie die Führung übernahm. Opfer wäre sie geworden durch die Forderung eines Baumgeistes nach mehr Licht, doch folgte sie nicht der Forderung des Geistes sondern dem Ruf des Adlers.
Hoch hinaus führte sie der Weg, bis in die Arme der Göttin der Nacht.
Sie selbst glaubte an die Weisheit der Göttin und im selben Maß schwand ihr eigenes Bemühen, Weisheit zu erlangen. Sie selbst hatte geglaubt, dass die Göttin allwissend ist und schon schien ihr eigenes Wissen nur ein schwacher Widerschein dessen zu sein. Sie glaubte auch den Fluch, den die Göttin über ihren Liebsten ausgesprochen hatte und die Göttin tat es, sie verfluchte ihn. So sehr glaubte sie an die Macht der Göttin, sie als ein Gott der Zerstörung, dass sie das Licht und das Land zerstörte. Sie glaubte einst auch an einen Gott der Rache und er rächte sich als der Krieger den König erschlug. Sie hatte geglaubt, dass Zeit der Göttin nichts bedeutet und hatte erkannt, dass es sie darum nicht kümmert, ob Äonen vergehen, bis ihr die Göttin den einen Traum erfüllt. Sie glaubte an die Göttin, die das Gute liebt und schon führten Zweifel daran zum Entzug ihrer Gnade. Ihre eigene schöpferische Schaffenskraft aus Geduld und Wille schwand, je mehr sie der Göttin das Recht auf die Schöpfung zuschrieb. Je mehr sie dachte, dass die Göttin vollkommen war, desto mehr schwand ihre eigene Vollkommenheit.
Die Götter!. Sie sind nichts weiter als eine furchtbare Idee.
Dem Ruf des Adlers zu folgen war nicht vergebens. Nichts ist im Leben ist vergebens und sei es noch so unbedeutend. Jeder Augenblick ist bedeutend, jedes Lebewesen zählt. So wie kein Ton in einer vielstimmigen Melodie fehlen darf, so würde die gesamte Schöpfung zerbrechen, wenn auch nur ein Staubkorn fehlen würde.
Für die Jägerin war die Welt das Mysterium, und sie selbst nahm ihren rechtmäßigen Platz darin ein, weil auch sie sich als solches betrachtete. Für sie war das Mysterium unendlich, das Sein eines Kiesels, einer Ameise oder das ihres eigenen Selbst. Dies machte sie allen anderen Dingen gleich. Die Jägerin hatte sich entschieden. Das war vor langer Zeit. Sie hatte sich entschieden, als Jägerin und Kriegerin zu leben und nicht als gewöhnlicher Mensch. Sie traf diese Entscheidung nur ein einziges Mal, denn sie wusste, eine zweite Entscheidung gibt es nicht mehr. Nicht in dieser Welt.
Sie hatte den höchsten Punkt erreicht, sie sehnte sich nicht nach Gesellschaft, auch nicht ihrer eigenen Art und sie trug keine bestimmte Farbe mehr auf ihrem Körper - alles Eigenschaften eines einsamen Vogels, der hoch oben über ihr im tiefen Blau des Himmels kreiste.
Leise summte sie das einzige Lied, das ihr der Adler beigebracht hat:
Sie hatte den höchsten Punkt erreicht, sie sehnte sich nicht nach Gesellschaft, auch nicht ihrer eigenen Art und sie trug keine bestimmte Farbe mehr auf ihrem Körper - alles Eigenschaften eines einsamen Vogels, der hoch oben über ihr im tiefen Blau des Himmels kreiste.
Leise summte sie das einzige Lied, das ihr der Adler beigebracht hat:
"Ich bin der Kraft bereits hingegeben, die mein Schicksal regiert.
Und ich hänge an nichts, darum will ich nichts zu verteidigen haben.
Ich habe keine Gedanken, darum sehe ich.
Ich fürchte nichts, darum will ich mich an mich erinnern.
Abgelöst und mit Leichtigkeit werde ich am Adler vorbeifliegen,
um frei zu sein."
Sie wünschte sich, noch viel mehr vom Tier zu sein und so jene Fehler zu vermeiden, die die menschliche Natur in sich birgt. Sosehr sie sich auch eilte, noch kein einziges mal kam sie dem Wolf so nahe, dass sie ihn sehen konnte. Und wenn sie rastete, dann war sie sich gewiss, dass auch er auf seiner Wanderung einhielt. Sie hätte noch viel weiter laufen können in jenem Rhythmus, aber eine winzige Eidechse kreuzte ihren Weg. Sie erkannte es als Zeichen, gerade weil es so unauffällig war.
So stoppte sie ihren Trab, und bemerkte das Büschel vom hohen Amyrisgras. Mit Geschick drehte und flocht sie daraus eine Schlinge, dann setzte die Jägerin ihren Lauf fort. Stets bergab führte ihr Weg, immer hinunter, dorthin, wo das Land trocken wurde und heiß. Sosehr lastete an manchen Tagen die Hitze der Sonne über dem Land, dass sich sogar die Zistrosen von alleine entflammten und zu Brennen begannen.
Der Tod ist für jeden etwas anderes oder was immer man will. Er könnte alles sein - ein Vogel, ein Licht, ein Mensch, ein Busch oder der Stein, mit dem sie den unvorsichtige jungen Fuchs tötete. Seine Zeit war gekommen.
Zärtlich streichelte sie den Fuchs ein letztes mal. Sie sprach leise die Worte der Dankbarkeit und des Verstehens und sah tief in seine Augen. Dann schlug sie ihm den Schädel ein.
Sie nahm nochmals den dunklen, von der Sonne erhitzten Stein auf und legte ihn unter das Tausendkraut. Es dauerte nicht lange und zwischen den Zweigen züngelten die ersten Flammen.
Die Zeit der langen Schatten war gekommen. Sie kaute noch am letzten Stück Fuchsfleisch, als sie den Wolf heulen hörte und der Adler rief.
Dies war so außergewöhnlich, dass die Jägerin sofort in höchste Wachsamkeit wechselte.
Ein Schwarm von Krähen erhob sich aus einem Geröllfeld. Trotz des Adlers, der über ihnen kreiste, hatten sie sich bis jetzt still verhalten. Ihre Flügel schlugen die Luft, ihre Schnäbel waren geöffnet, aber kein Geräusch war zu hören, als sie sich vom Geröll abstießen und mit ihren Flügeln die Luft peitschten.
Eine kleine Steinlawine löste sich und begann langsam zu gleiten. Vielleicht waren die aufsteigenden Krähen, die die delikate Anordnung der Steine aus dem Gleichgewicht brachten. Kleine Staubwolken stiegen hoch. Sträucher beugten sich. Rindenstücke splitterten vom Holz, als die stürzenden Steine an Geschwindigkeit zunahmen. Das gesamte Geröll war nun ins Rutschen geraten. Ein großer mächtiger Mahlstrom von Steinen donnerte hinunter, begrub Sträucher und kleinere Bäume. So langsam der Hangrutsch begann, so langsam endete er auch. Nur wenige lose Steine stürzten noch durch Staubschwaden hindurch hinein in die Bäume.
Einige der Krähen ließen sich wieder im Geäst über der Jägerin nieder, während andere noch mit der Vertreibung des Adlers beschäftigt waren.
Die Jägerin wischte sich die feuchten Handflächen trocken.
Die Krähen hatten sie auf etwas hingewiesen – und der Hangrutsch. Die Geister hatten möglicherweise erst diesen Hangrutsch verursacht.
„Hier ist die Jägerin, die dich erkannt hat, Krähengeist.
Ich preise dich an diesem Platz, so dass dein Name laut vernommen wird.“
Weit unten, im Buschland sah sie einen Menschen.
Den ersten seit sehr langer Zeit.
Den ersten seit sehr langer Zeit.
Zu Steinen hatte sie gesprochen, zu Pflanzen und mit Tieren, aber zu keinem ihrer Art. Die Bewegungen des Mannes waren von Angst geprägt, das spürte sie mehr, als das sie es sah. So wie er sich oft umblickte, zu hastig weiter lief und so eine deutlich sichtbare Spur hinterließ.
Seine Kleidung verriet, dass es einer der Krieger-Zauberer war, über die die Alten manchmal in seltsamen Nächten flüsterten. Er hatte Angst und er war auf der Flucht, so wie er sich einem Felsen näherte. Ein Platz, an dem es wohl nach oben, aber nicht weiter ging,
Jetzt hatten sie ihn, Hierher kam er, auf dieses große Felsplateau.
Die Jägerin wusste, dass der Krähengeist wollte, dass sie diesem Kampf, der Letzten Schlacht eines Kriegers mit ansah. Dass sie Zeuge werde des letzten Kampfes auf Erden, den ein Krieger tanzt.
Von allen Seiten, aus der Erde selbst drangen sie zu dem Felsen; düstere, ehrfurchtgebietende Zauberer. Männer, die Kraft ihres Wissens sogar dem Tode zu trotzen vermochten. Sie kamen, um sich ihren Teil der Kraft zu holen.
Sogar aus ihrem Versteck heraus konnte sie den Wahn in den Augen des Kriegers flackern sehen, als er mit einem unterschlagenem Bein dahockte, während er wie rasend auf das andere einschlug.
Lautlos drangen die Verfolger auf ihn ein, lautlos rissen und schnitten sie an dem Krieger Fetzen aus der Haut, ganz Fleischstücke gar. Sie fühlte mit ihm die Schmerzen, die er litt, als ihm die Organe aus dem Leit zerrten und diese gierig auffraßen.
Diese alten Zauberer aßen einen der ihren bei lebendigem Leib. So nahmen sie seine Kraft auf.
Die Jägerin, gefangen im Schrecken, den ihr dieses entsetzliche alte Ritual einjagte, keuchte, würgte und weinte. Fast hätte sie laut aufgeschrien.
Als vom Körper des Kriegers nur mehr das Skelett mit ausgerenkten Gelenken in einer schmierigen Blutlache übrig war, hatte auch sie jenen Punkt erreicht, den der Wolf sie zu lehren trachtete.
Jenes Gefühl, das am Ende aller Angst und jeder Furcht wartet: die absolute Rücksichtslosigkeit. Rücksichtslos allem und jedem gegenüber, am meisten aber gegenüber sich selbst - den Platz ohne Erbarmen.
Jeder konnte es sehen, der in ihre Augen sah: Jene silbrige Schicht, die ihre Augen leuchten ließ, als sie zum Feuer des Moloch schritt. Und so leuchteten auch jetzt ihre Augen. Ohne Erbarmen und rücksichtslos vernichtete sie jeden Gedanken und jeden Zweifel, damit die Magie von ihr Besitz ergreifen konnte. Nur dann war alles möglich.
Sie könnte sich in Ekstase versetzen und darin bis zur Erschöpfung mit übermenschlichen Kräften kämpfen. Ihre körperliche Wandlung wäre dann eine Art Raserei. Menschen würden sie dann vielleicht als mythologische Wesen wahrnehmen.
Doch die da unten waren schon lange keine Menschen mehr. Und nur Gedanke daran, dass sie von denen, Die-dem-Tod-trotzen, nicht wahrgenommen wurde, wäre keine weitere Überlegung wert gewesen.
Wenn noch mehr Magie von ihr Besitz ergriff, das wusste sie, würde es schmerzhaft werden, denn sie würde ihren Wohltäter als Feind ansehen.
Wenn sie wirklich in Gefahr ist, dann benötigte sie mehr als nur die menschliche Wahrnehmung.
Wenn sie wirklich in Gefahr ist, dann benötigte sie mehr als nur die menschliche Wahrnehmung.
Sie brauchte die Angewohnheiten, die Instinkte und die Sinne eines bestimmten Tieres
Sie würde Schmerzen in den Kieferknochen bekommen aber danach wurden ihre Sinne schärfer und tierischer. Sie wäre dann ein Geistwandler und könnte ihren Wohltäter um Rat bitten. Aber sie konnte nur hoffen, dass ihr Wohltäter den Wandel übernimmt, denn sie hatte diesen Schritt noch nie beim dämmrigen Tageslicht gewagt und nicht allein.
Sie verfügte bereits über Eigenschaften seines Tieres. Sie besaß ein wenig seiner Sinne und seiner Instinkte. Sie fühlte, dass diese Eigenschaften stärker wurden und ihre menschlichen dadurch schwächer. Aber diese Fähigkeit nützte ihr meist nur für kurze Zeit.
In ihren Träumen standen ihr eine Vielzahl von Möglichkeiten offen, seit sie die Barriere ihrer eigenen Phantasie durchbrach. Dann konnte alles mögliche und unmögliche passieren, also auch eine körperliche Wandlung. Doch das würde Die-dem -Tod- trotzen nur noch mehr auf sie aufmerksam machen, da sich nur sehr sehr wenige Menschen in diesem Bereich der Wahrnehmung aufhalten. Und alles, was da noch kommen sollte, wäre eine zu intensive Erfahrung.
Sie konnte sich nicht gänzlich der Magie überlassen.
Noch nicht.
Und dann begann sie zu lachen.
Sie lachte den Rest des Schreckens weg.
Eine der Eigenschaften der Die-dem-Tod-trotzen ist die unbegründete Panik, die sie in weitem Umfeld verbreiteten. Das liegt an der Ungeheuerlichkeit, dass sie tatsächlich dem Tode trotzten und so schon seit viele Jahrhunderten überdauern. Sie haben kein Interesse an den Schicksalen einzelner Menschen. In ihrem Verständnis fegt die Zeit über ganze Generationen hinweg und es berührt sie kaum. Sich also vor einem der wohl finsteren und gefährlichen, aber am Menschen desinteressierten Zauberer zu fürchten war nur ein tollkühner Vorstoß ihrer eigenen Wichtigkeit und gleich darauf geriet sie in Panik. Diesen Teil ihrer Natur, ein all zu menschlicher Teil, den musste sie noch loswerden, diesen Makel der eigenen Wichtigkeit.
Sie dankte dem Krähengeist für diese Erfahrung auf ihre höchst private, fast intime Weise.
Als sie sich wieder als Jägerin bewusst wurde, blickte sie zurück zu dem Felsplateau. Es war kaum zu erkennen, so weit weg entfernt war es. Von den Zauberern war nichts mehr zu sehen. Sie hinterließen keine Spuren. Niemals. Ob dort auf dem Felsen noch die Überreste vom Leichnam lagen? Die Jägerin bezweifelte es. Das Felsplateau schien leer zu sein.
Nur ein Schwarm Krähen kreiste darüber.
Nur ein Schwarm Krähen kreiste darüber.
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